Einigung über eine Abschaffung des Zweitwohnsitzerwahlrechts

Der Niederösterreichische Landtag am 24.02.2022 hat quer über alle Parteigrenzen einstimmig beschlossen, dass bei Gemeinde- und Landeswahlen sowie bei Gemeine- oder Landes-Volksbefragungen ab 01.06.2022 nur mehr Hauptwohnsitzer wahlberechtigt sein werden. Damit schrumpft die Wählerschar der Gemeinde auf rund 600 Personen zusammen. (Nationalratswahl 2019: 599 Wahlberechtigte)

Grundsätzlich wäre es richtig auch Nebenwohnsitzern ein Recht auf Mitbestimmung zuzugestehen, weil einige von ihnen viel Zeit an ihren Nebenwohnsitzen verbringen und die Gemeinden zum Teil aktiv mitgestalten. Realpolitisch ging es aber eher um Wahltaktik, denn die regierende ÖVP hatte in den Zweitwohnsitzern ein verlässliches Reservoir an treuen Wählern. Rund 72% der niederösterreichischen Zweitwohnsitzer waren bei der Landtagswahl im Jahre 2018 ÖVP-Wähler. Deshalb ist diese Abschaffung auch immer ein Wunsch der SPÖ und der restlichen Opposition gewesen. Auch der teils massive Missbrauch von Zweitwohnsitzer-Scheinanmeldungen ist der SPÖ so wie den Grünen, der FPÖ und den Neos immer ein Dorn im Auge gewesen.

Die Reaktion der NÖ-VP mit einem Gesetz, dass die/der Bürgermeister/in in erster Instanz entscheiden kann, welcher Zweitwohnsitzer wählen darf oder nicht, zieht auch immer wieder Probleme nach sich. Das könnte zukünftig regelmäßig zu Wahlanfechtungen führen, daher war auch die VP mittlerweile offen für eine Änderung zugunsten der Hauptwohnsitzer. Den endgültigen Ausschlag zur Änderung gaben wohl die Bedenken einiger VP-Bürgermeister über die -wegen des Parkpickerls- zunehmende Ummeldung vieler ihrer Einwohner nach Wien und den damit verbundenen Verlust der Ertragsanteile. Die Gemeinden bekommen auf diesem Weg 780 bis 1.260 Euro pro Hauptwohnsitz und Jahr. Die NÖ-Gemeinden könnten so bis zu 20 Millionen € verlieren. (Dass kleine Gemeinden wie unsere -trotz höherer Kosten pro Kopf- weniger Geld bekommen ist ein eigenes Thema…) Man erhofft sich also, dass die Einwohner der betroffenen Gemeinden ihren Wohnsitz aufgrund des Verlustes der Mitbestimmungsrechte doch nicht nach Wien verlegen, wo sie ein Parkpickerl für günstiges Parken in Wien bekämen.

Die „Name vor Partei“-Regel

Eine weitere die Amtsinhaber bevorzugende Seltsamkeit des NÖ Wahlrechts bleibt erhalten, die sogenannte „Name vor Partei“-Regel. Diese Regel besagt, dass wenn z.B. auf einem Wahlzettel die SPÖ angekreuzt ist, aber zusätzlich der Name z.B. des regierenden Bürgermeisters der ÖVP auf dem Wahlzettel steht, dann zählt die Stimme für die ÖVP. Das ist nicht logisch und viele Menschen haben, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, dann irrtümlich eine Partei gewählt, die sie nicht wählen wollten. Man versucht durch persönliche Stimmzettel die Menschen in die Irre zu führen. Wir wissen von einem Fall wo behauptet wurde: „Du kannst eh die andere Partei wählen, aber schreib meinen Namen drauf, dann hilfst du mir auch bei den Vorzugsstimmen….“

Die „nicht amtlichen Stimmzettel“

Womit wir schon bei den „nicht amtlichen Stimmzetteln“ wären. Diese weitere Seltsamkeit besagt, dass man irgendwelche Zettel z.B. mit vorgedruckten Partei- oder Kandidatennamen statt des amtlichen Wahlzettels in das Kuvert stecken kann. Amtsinhaber verwenden das gerne um Zettel mit ihren Namen zu verteilen, die die Wähler dann in die Kuverts stecken können, statt aktiv eine Auswahl zu treffen. Das ist ein psychologischer Trick und auch eine immer wieder kritisierte Vorgehensweise, die bleiben wird.

Das D´Hondt-Verfahren zur Mandatszuteilung

Die ÖVP pokerte am Ende der Verhandlungen zum Gesetz doch noch und wollte sich das „Zugeständnis“ des Hauptwohnsitzerwahlrechts abkaufen lassen, indem sie auch forderte das D´Hondt-Verfahren in der NÖ-Landesverfassung zu verankern und so abzusichern. Das ist aber nun lediglich durch ÖVP und Grüne nur einfach-gesetzlich geregelt worden. Dieses Mandats-Verteilungsverfahren begünstigt Großparteien. Es wird schon seit Jahrzehnten angewandt, steht aber immer wieder in der Kritik. Warum das so ist, können wir anhand des Ergebnisses der Gemeinderatswahl 2005 zeigen. (Auch im Jahr 2000 hat es das Ergebnis mit einem zusätzlichen Mandat in Richtung der ÖVP verzerrt.)

Mandatsverteilung 2005
Gemeinderäte (GR)
ÖVP SPÖ UBL
7 5 3 Sitze nach D´Hondt
Geschäftsführende Gemeinderäte (GGR)
ÖVP SPÖ UBL
2 2 1
 248,0  210,0  141,0 Stimmenzahl
248,0 210,0 141,0 dividiert durch 1
124,0 105,0   70,5 dividiert durch 2
  82,7   70,0   47,0 dividiert durch 3
  62,0   52,5    35,3 dividiert durch 4
  49,6   42,0    28,2 dividiert durch 5
  41,3    35,0    23,5 dividiert durch 6
  35,4    30,0    20,1 dividiert durch 7
   31,0    26,3    17,6 dividiert durch 8
6,2 5,3 3,5 proportionale Sitze

Mathematisch  proportional berechnet hätte die ÖVP hier korrekt abgerundet 6 Sitze statt 7 erhalten, die SPÖ hätte ihre 5 behalten und die UBL hätte aufgerundet 4 Mandate erhalten. Hier wird durch das D´Hondt-Verfahren bei der größten Partei von 6,2 auf 7 Mandate aufgerundet. Das ist was daran kritisiert wird. (Am Rande: trotz D´Hondt-Verfahren hat 2005 der UBL nur eine Stimme gefehlt um der VP das siebente Mandat abzujagen und der SPÖ drei.)

Große Auswirkungen auf Moorbad Harbach

Diese Entscheidung des Landtags hat massive Auswirkungen auf unsere Gemeinde. Nicht involvierte werden das vielleicht gar nicht wissen, aber es hat schon länger immer wieder eine enorme Anzahl an Wählern gegeben, die nur zum Zweck der Stimmabgabe bei uns mit Nebenwohnsitz gemeldet wurden. In einzelnen besonders verbissenen Haushalten gab es drei, vier oder mehr Nebenwohnsitzer und man wusste in den Wählerlisten immer genau, für welche Partei diese Wähler, die hier überhaupt nicht wohnten, abstimmen würden.

Es hat diese Problematik besonders bei den Wahlen 2005 und ganz massiv bei den Wahlen 2010 gegeben. Es gab damals einen regelrechten Wettkampf um die Meldung von Menschen für diese Form des Wahlbetrugs. Einzelne mussten sich damals sogar wehren gegen das Ansinnen der eigenen Partei, möglichst viele ihrer Verwandten als Wähler anzumelden.

Im Endergebnis verlor 2010 die UBL 50 Wähler, im Gegenzug gewannen aber die SPÖ 31 und die VP 123 Wähler dazu. Viele davon aus „Nebenwohnsitzerstimmen“. Am Ende gewann die VP schließlich mit 39 Stimmen Vorsprung vor den Oppositionsparteien, die von da an z. B. durch Nichteinberufen der gesetzlich vorgesehenen Ausschusssitzungen von der Mitbestimmung ferngehalten wurden. Das war damals der Beginn der Einparteienherrschaft in Moorbad Harbach.

Zusatzinfo: Das Waldviertel als Hochburg der Nebenwohnsitzer

Landesweit wird der Anteil der Nebenwohnsitze mit zirka 17% beziffert, wovon im Landesschnitt offenbar 6-7% wählen gehen. Das Waldviertel ist traditionell Zweitheimat sowohl für die Abwanderer, die die Wurzeln nicht ganz aufgeben wollen und für die klassischen Wochenendhausbesitzer. Der Durchschnitt im Bezirk Gmünd ist mit rund 23% hoch und in der Gemeinde Moorbad Harbach im Moment mit 26% sogar noch ein wenig höher:

Zweitwohnsitzer
05-2021 Volksbegehren
Hauptwohnsitzer
wahlberechtigt
Hauptwohnsitz
2021-12-31
Nebenwohnsitz
2021-12-31
Nebenwohnsitz
Anteil
Litschau 1.915 2.146 1.382 39%
Haugschlag 386 480 307 39%
Eggern 566 681 305 31%
Bad  Großpertholz 1.116 1.296 579 31%
Brand-Nagelberg 1.275 1.471 556 27%
Eisgarn 568 696 254 27%
Reingers 529 625 227 27%
Amaliendorf-Aalfang 906 1.116 386 26%
Moorbad Harbach 601 721 247 26%
Hoheneich 1.197 1.403 455 24%
Heidenreichstein 3.314 3.875 1.161 23%
Sankt Martin 896 1.055 312 23%
Weitra 2.234 2.614 743 22%
Hirschbach 503 582 159 21%
Kichberg am Walde 1.080 1.293 331 20%
Schrems 4.409 5.327 1.122 17%
Großdietmanns 1.845 2.178 440 17%
Gmünd 4.070 5.186 1.001 16%
Waldenstein 979 1.174 216 16%
Unserfrau-Altweitra 821 1.009 182 15%
Großschönau 999 1.230 204 14%
GESAMT GMÜND 30.209 36.158 10.569 23%
Die Differenz zwischen den wahlberechtigten Hauptwohnsitzern und den nicht wahlberechtigten ergibt sich aus dem Anteil unter 16jähriger und den sonstigen nicht Wahlberechtigten (vor allem Ausländer)
Quelle: Amtsblatt 05/2021 und NÖN 02/2022

Mehr Information dazu noch auf den ORF-Seiten:

https://noe.orf.at/stories/3140544/

https://noe.orf.at/stories/3144652/

Von Redaktion

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